Die europäische Bauwirtschaft steckt in der Krise. Was muss passieren, um ihr zu entkommen?

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Blick auf eine Baustelle mit Baggern und diversen Baugeräten in einem Wohngebiet von Wildberg in Baden-Württemberg, Deutschland. Blick auf eine Baustelle mit Baggern und diversen Baugeräten in einem Wohngebiet von Wildberg in Baden-Württemberg, Deutschland. (Bild: joerghartmannphoto via AdobeStock – stock.adobe.com)

Die europäische Bauwirtschaft befindet sich im Griff dessen, was Ökonomen als „breit angelegten Rückgang“ bezeichnen.

Die im letzten Monat von der Hamburg Commercial Bank (HCOB) veröffentlichten Zahlen zum Einkaufsmanagerindex zeigten, dass die Wirtschaftsaktivität in der gesamten Eurozone sowie in den großen Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich und Italien zurückgegangen ist. In Europa insgesamt ist die Wirtschaftsaktivität nun schon seit 28 Monaten in Folge rückläufig.

Im Falle Deutschlands zeigt der HCOB PMI, dass die Aktivität im Land seit mehr als zwei Jahren im negativen Bereich liegt. Auch in Frankreich ist die Aktivität seit 2022 weiterhin weitgehend rückläufig.

Was muss also geschehen, bevor die europäische Bauwirtschaft ihre Krise stoppen und wieder auf Wachstumskurs kommen kann?

Die Ursachen

Zunächst einmal muss man sich darüber im Klaren sein, dass nicht alle Teilsektoren der Branche hinsichtlich ihrer Leistung gleich sind.

„Es ist definitiv richtig, dass diese Vertrauensindikatoren immer noch im negativen Bereich liegen“, sagt Maurice van der Sante, leitender Ökonom für Bauwesen bei der niederländischen Bank ING. „Wir müssen anerkennen, dass vor allem der Neubausektor betroffen ist und sich viele andere Sektoren überraschend gut entwickeln.“

Van der Sante weist darauf hin, dass es angesichts der starken Nachfrage nach Wohnraum in Europa etwas seltsam ist, dass das Umfeld für neue Wohnbauprojekte weiterhin so schwierig ist. Doch die starke Inflation der Baustoffkosten und die gestiegenen Zinssätze infolge der Covid-19-Pandemie und des Ausbruchs des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 haben dazu beigetragen, dass es viel schwieriger ist, Projekte rentabel zu machen.

Grafik zeigt den S&P Global PMI für die Eurozone bis Juli 2024

Deutschland bleibt ein besonders schwieriger Markt. Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnimmobilien liegt derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 14 Jahren. „Aus wohnungspolitischer Sicht war das erste Halbjahr erneut eine große Enttäuschung“, sagt Tim Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Bauindustrie.

„Wir steuern auf das schwächste Genehmigungsniveau seit 2010 zu. Damit verfestigt sich die Wohnungsknappheit in den Ballungszentren und ihrem Umland sowie in vielen Oberzentren. Im Juni sank die Zahl der genehmigten Wohnungen bereits zum 21. Mal in Folge zweistellig“, fügte er hinzu.

Beunruhigend warnt Müller, es sei weiterhin „keine Hoffnung auf Erholung in Sicht“.

Unterdessen zeigte der HCOB France Construction PMI für August, dass der Wohnungsbau mit einer der schnellsten Raten aller Zeiten zurückgegangen ist, während auch die gewerbliche Bautätigkeit zurückging. Dies hat die Gesamtaktivität im Baugewerbe mit der schnellsten Rate seit Januar nach unten gezogen.

„Offizielle Daten zeigen, dass die Zahl der Baubeginne im Jahr 2023 auf ihren historischen Tiefstand sinken wird und aufgrund des Einbruchs bei den Baugenehmigungen und Wohnungsverkäufen im Jahr 2024 noch darunter fallen könnte“, erklärt Loïc Chapeaux, Direktor für wirtschaftliche und internationale Angelegenheiten des französischen Bauverbands Fédération Française du Bâtiment (FFB), gegenüber Construction Briefing .

Der Rückgang betreffe alle Formen des Wohnungsbaus, ob öffentlich oder privat, zur Miete oder zum Verkauf, in Einfamilienhäusern und/oder Wohnungen und in städtischen oder ländlichen Gebieten, erklärt Chapeaux.

„Diese Krise ist auf drei Faktoren zurückzuführen: natürlich auf engere und teurere Kreditmärkte, wie im gesamten Euroraum; auf einen Anstieg der Produktionspreise, der sowohl durch die Folgen der Covid-19-Krise als auch durch strengere Bauvorschriften verursacht wird; und auf eine kontinuierliche Kürzung der französischen öffentlichen Subventionen für den Wohnungssektor seit 2017“, fügt er hinzu.

Unterdessen zeigte auch der HCOB-Bau-PMI für Italien für August den fünften Monat in Folge einen Rückgang der Aktivität, wobei der Wohnungsbau der Teilsektor mit der schwächsten Performance war. Bauunternehmen äußerten sich schwach optimistisch für die Zukunft, obwohl das Vertrauensniveau laut der Umfrage auf dem niedrigsten Stand seit zwei Jahren lag.

Glücklicherweise gibt es in anderen Teilen Europas Anzeichen einer Erholung. Nach zwei Jahren des Rückgangs steigt die Erteilung von EU-Baugenehmigungen für Neubauten seit dem dritten Quartal 2023 an und stieg im letzten Quartal des vergangenen Jahres um 6,6 % und im ersten Quartal 2024 um 1,5 %, wie aus einer Analyse der ING hervorgeht. Spanien, Polen und die Niederlande verzeichnen allesamt gute Erholungsraten, auch wenn sich das Bild in Frankreich und Deutschland schleppender darstellt.

Stärkere Entwicklung im Nichtwohnungsbau

Auch wenn der Wohnungsbaumarkt möglicherweise Probleme hat, weist die französische Fédération Nationale des Travaux Publics (FNTP), die Bauunternehmer im öffentlichen Sektor vertritt, darauf hin, dass sich die Lage für ihre Mitglieder deutlich positiver darstellt.

„Im Jahr 2024 hat sich die öffentliche Bautätigkeit in Frankreich trotz der Krise, die andere Bausegmente wie den Wohnungsbau betrifft, gut gehalten. Tatsächlich stieg die Leistung im öffentlichen Bauwesen im ersten Halbjahr um 2,3 % (in laufenden Euro), während der Auftragseingang weiterhin durch die Vergabe von Großaufträgen angekurbelt wurde“, sagt ein Sprecher der FNTP. Als Beispiele wurden das riesige Projekt Grand Paris Express, die Eisenbahnlinie Lyon-Turin, Straßenbahn- und Energieprojekte genannt.

Gemeinsam mit Vertretern von TELT drückt Martin Herrenknecht den Startknopf, der die Rotation des Bohrkopfes der TBM auslöst Großprojekte wie die Eisenbahnstrecke Lyon-Turin, zu der auch der 65 km lange Mont-Cenis-Basistunnel gehört, haben den gewerblichen Wohnungsbau in Frankreich beflügelt. (Foto: Herrenknecht)

Van der Sante ist seinerseits „erstaunt“, dass sich der Nicht-Wohnbau während des europäischen Wirtschaftsabschwungs in den letzten zwei Jahren so gut gehalten hat. „Normalerweise sind Unternehmen bei Wirtschaftswachstum zögerlicher, in neue Gebäude zu investieren. Aber diese Niveaus haben sich ziemlich gut gehalten und es gab auch gesunde öffentliche Investitionen in Bereiche wie Schulen und Gesundheitswesen“, sagt er.

Licht am Ende des Tunnels?

Während die Gesamtaktivitätszahlen in Europa eher düster aussehen, sieht van der Sante in Europa als Ganzes Anlass für Optimismus. „Ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels. Die Produktionsmengen [von Baumaterialien] haben ihren Tiefpunkt erreicht. In der Europäischen Union gab es einen Rückgang von 15 bis 20 %, was natürlich enorm ist, aber langsam geht es wieder aufwärts. Es ist noch nicht sehr überzeugend, aber die ersten Anzeichen sind da“, sagt er.

Er verweist auch auf die steigenden Hauspreise in den Niederlanden, die stark gefallen waren, nun aber wieder auf dem Niveau von vor zwei bis drei Jahren liegen. „Das ist ein gutes Zeichen für den Neubau, aber es dauert immer eine Weile, bis die Bauunternehmer einen Anstieg ihrer Produktion verzeichnen“, fügt er hinzu.

Infolgedessen erwartet ING für Europa im Jahr 2024 einen weiteren Rückgang der Aktivität, prognostiziert dann aber für 2025 einen leichten Anstieg.

Und es gibt erste Anzeichen dafür, dass das Vertrauen in den Sektor zu steigen beginnt. Die neuesten Zahlen des Economic Sentiment Indicator (ESI) der Europäischen Kommission verzeichneten im Juli 2024 eine leichte Verbesserung im Baugewerbe (siehe Grafik unten).

Mit Flourish gemacht

Voraussetzungen für Wachstum schaffen

Dennoch ist die deutsche Bauindustrie davon überzeugt, dass sowohl die deutsche Regierung als auch die Behörden auf europäischer Ebene Maßnahmen ergreifen können, um der Bauwirtschaft wieder zu gutem Erfolg zu verhelfen.

Ein Sprecher der Bauindustrie merkt an, dass ein besonderes Problem in Deutschland ein hartnäckiger Pessimismus hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage sei. „Ich denke, im Allgemeinen warten alle darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen senkt und sehen, welche Auswirkungen das auf den Wohnungsmarkt hat“, sagt er.

Dies dürfte im Herbst passieren, ist aber bei weitem nicht die einzige Maßnahme, die einen positiven Unterschied machen könnte, sagt Müller. Er fordert die Regierung auf, die bürokratische Belastung und Komplexität zu reduzieren, mit der die Branche derzeit zu kämpfen hat.

„Der Wille der Politik zur Trendwende ist erkennbar. Neben ausreichender Finanzierung muss der Befreiungsschlag allerdings in einer Reduzierung der schier endlosen Auflagen für unsere Wohngebäude liegen. Ohne eine radikale Kürzung der baukostentreibenden Auflagen von Bund, Ländern und Kommunen wird sich nichts ändern und Monat für Monat neue Negativrekorde verzeichnet werden“, ergänzt Müller.

Eine Baustelle in Deutschland mit einem gelben Turmdrehkran neben einem im Bau befindlichen mehrstöckigen Gebäude. Eine Baustelle in Deutschland (Bild: Jakob Kamender via AdobeStock – stock.adobe.com)

Diese Komplexitäten können von Vorschriften zur Lärmdämmung und der Sicherstellung, dass es Parkplätze neben Gebäuden gibt, bis hin zur Festlegung der Anzahl von Steckdosen, die ein Gebäude haben muss, ihrer Energieeffizienz und mehr reichen, erklärt ein Sprecher. „Manche davon können als etwas luxuriös angesehen werden, sind aber für Funktionalität und Sicherheit nicht notwendig“, fügt der Sprecher hinzu.

Chapeaux seinerseits erkennt an, dass sich das Volumen der Immobilienkredite in Frankreich seit März 2024 allmählich erholt. Er würde sich zwar weiterhin für eine weitere Senkung der EZB-Zinsen einsetzen, glaubt aber, dass auf nationaler Ebene auch andere Maßnahmen ergriffen werden können.

„So hat beispielsweise der französische Hohe Rat für Finanzstabilität seit 2021 verbindliche Regeln für den Kreditmarkt festgelegt, die zur Blockade des Eigenheimmarktes beitragen. Dennoch gibt es seit Mitte der 1990er Jahre keine Hinweise auf nennenswerte Risiken bei Eigenheimkrediten in Frankreich“, betont er.

Van der Sante rechnet nicht damit, dass eine Zinssenkung der EZB zumindest kurzfristig einen Unterschied machen wird. „Es dauert immer eine Weile, bis Unternehmen [nach einer Zinssenkung] beginnen, ihre Immobilien auszubauen“, sagt er.

Er warnt aber auch davor, sich zu sehr auf den Wohnungsbau zu versteifen. „Ich nenne Renovierung immer den vergessenen Sektor des Bauwesens. Wenn wir an Bauwesen denken, denken wir an schicke neue Gebäude, aber etwa 50 % der gesamten Produktion im Bauwesen sind Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten, die immer weniger konjunkturabhängig sind.“

„Wir befinden uns auch in einer Energiewende und Gebäude müssen isoliert und Wärmepumpen installiert werden. Wir können uns zu der Annahme hinreißen lassen, dass nur weil es auf dem Markt für neue Wohnimmobilien nicht gut läuft, das keine schlechten Nachrichten für den gesamten Bausektor sind.“

Doch selbst in diesem Bereich befürchtet Chapeaux, dass der Renovierungsmarkt in Frankreich auf eine Stagnation zusteuert, weil die Ausgaben der französischen Haushalte eingeschränkt sind.

Er fordert, dass auf europäischer Ebene eine langfristige Baustrategie entwickelt wird, die sowohl der Energiewende als auch den Wohnbedürfnissen Rechnung trägt, mit dem Ziel, öffentliche und private Investitionen in den Bau und die Sanierung zu lenken.

„Die von Ursula von der Leyen angekündigte Ernennung des ersten EU-Kommissars für Wohnungsbau ist ein guter Anfang. Da Wohnungsbau jedoch nicht in die Zuständigkeit der EU fällt, müssen die europäischen Behörden sicherstellen, dass nicht noch mehr Vorschriften und Verwaltungsaufwand geschaffen werden, die zu höheren Baupreisen führen könnten. Tatsächlich fordert die FFB ein Moratorium für europäische Vorschriften und Baunormen, die sich während der letzten Amtszeit 2019-2024 mit dem EU Green Deal vervielfacht haben“, sagt er.

Auf nationaler Ebene in Frankreich will die FFB eine kohärente und stabile Wohnungspolitik. „Laut offiziellen Daten sind die Steuereinnahmen aus dem Wohnungsbau seit 2020 2,4-mal höher als die Wohnbausubventionen, was ein historischer Höchststand ist“, sagt er. „Daher muss Haushaltsspielraum geschaffen werden. Die FFB hat beispielsweise berechnet, dass jedes gewährte zinslose Darlehen dem Staatshaushalt nach fünf Jahren eine Kapitalrendite von 25.000 Euro einbringt. Ein breiteres zinsloses Darlehen (für alle Arten von Wohnungen im ganzen Land) würde die Zahl der Erstkäufer von Eigenheimen steigern und gleichzeitig öffentliche Einnahmen generieren“, argumentiert er.

Starken Nichtwohnungsbau aufrechterhalten

Unterdessen sollte die anhaltende Stärke des Nichtwohnungsbaus nicht als selbstverständlich angesehen werden, wie das FNTP hervorhebt.

Sie warnt, dass politische Instabilität öffentliche Investitionen in Bauprojekte gefährden könne. Mit Bezug auf Frankreich sagte ein Sprecher: „Mittelfristig sind die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der politischen Instabilität nach der Auflösung der französischen Nationalversammlung eine Quelle der Unsicherheit. Daher sind öffentliche Maßnahmen erforderlich, um dem Sektor Sichtbarkeit zu verleihen.“

Zu diesem Zweck hat die European Construction Federation (FIEC), deren Mitglied die FNTP ist, im Vorfeld der Europawahlen in diesem Jahr zehn Kernbotschaften dargelegt, die zum Aufbau einer widerstandsfähigen und nachhaltigen Bauindustrie in Europa beitragen sollen.

Das FNTP hat sich auf zwei Bereiche konzentriert, die es als vorrangig ansieht: die Gewährleistung eines hochwertigen, dekarbonisierten Infrastrukturnetzes und – gemeinsam mit seinem deutschen Pendant, der Bauindustrie – die Verringerung des Regulierungsaufwands.

Zu den von ihr geforderten Maßnahmen gehört ein ehrgeiziger Finanzrahmen zur Unterstützung des Baus kohlenstoffarmer Infrastrukturen und von Investitionen in deren Instandhaltung. Sie fordert außerdem eine Vereinfachung der Bauvorschriften und die Schaffung von Standards, die den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht werden.

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