Ein kritischer Moment für Deutschlands Brücken

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Die Theodor-Heuss-Brücke aus den 1960er-Jahren in Essen wird einer externen Vorspannung unterzogen, um ihre Lebensdauer um 15 Jahre zu verlängern.

Deutschland, die größte Volkswirtschaft Europas, ist für seine erstklassige Infrastruktur bekannt. Doch selbst in einem der wohlhabendsten Länder der Region bröckeln die Brücken.

Im letzten Jahr erfuhr Construction Europe , dass sich etwa 10 % der zwei Millionen Brücken in Europa in einem potenziell gefährlichen Zustand befinden.

Aufsehenerregende Einstürze wie die Katastrophe der Morandi-Brücke im italienischen Genua, bei deren Einsturz bei einem Sturm im Jahr 2018 43 Menschen ums Leben kamen, erinnern uns daran, was auf dem Spiel steht.

Stahlspannglieder verlaufen längs unter einem der beiden Überbauten der Brücke. Stahlspannglieder verlaufen längs unter einem der beiden Überbauten der Brücke.

Doch die Zukunft der deutschen Brücken gerät nun in eine kritische Phase, nachdem mehrere deutsche Bauverbände*, darunter der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) und der Hauptverband Deutsche Bauindustrie (HDB), im vergangenen Monat eine Dringlichkeitserklärung veröffentlichten, in der sie warnten, dass Kürzungspläne im Bundeshaushalt „fatale“ Auswirkungen auf die deutsche Infrastruktur hätten.

Über 4.000 Autobahnbrücken in Deutschland müssen dringend saniert oder neu errichtet werden.

Vor zwei Jahren versprach Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf einem Nationalen Brückengipfel, die Regierung werde ab 2026 jährlich 400 Brückenbaumaßnahmen durchführen, um den Sanierungsstau innerhalb von zehn Jahren aufzulösen.

Vieles hat sich seitdem geändert und die Gruppe der deutschen Bauverbände warnt nun gemeinsam: „Von den 400 Brücken pro Jahr sind wir noch weit entfernt. Zudem wurden in den letzten Wochen immer mehr Ausschreibungen wegen fehlender Mittel abgesagt und das Bauprogramm der Autobahn GmbH ist insgesamt überlastet.“

Tatsächlich soll das Autobahnbudget um 20 Prozent von 6,2 Milliarden Euro (6,6 Milliarden US-Dollar) pro Jahr auf 4,9 Milliarden Euro (5,3 Milliarden US-Dollar) gekürzt werden, so die Verbändegruppe. Sie warnten vor Kürzungen der Mittel für den Autobahnbau und forderten zusätzliche Investitionen von einer Milliarde Euro (1,1 Milliarden US-Dollar) pro Jahr, um das Brückenmodernisierungsprogramm auf den Weg zu bringen. „Diese fahrlässige Investitionspolitik wird dazu führen, dass weitere Brücken geschlossen werden und das Straßennetz weiter verfällt“, warnten sie.

Die Lebensdauer einer Brücke wird um 15 Jahre verlängert

Vor diesem Hintergrund nahmen Construction Europe und Construction Briefing gemeinsam mit einer Gruppe von Vertretern der European Construction Industry Federation (FIEC) teil, um sich die Fortschritte bei einem Brückensanierungsprojekt im deutschen Essen anzusehen, das die Herausforderungen verdeutlicht, vor denen das Land steht.

Janina Baumbach von Autobahn bespricht Pläne für das externe Vorspannprojekt. Janina Baumbach von Autobahn bespricht Pläne für das externe Vorspannprojekt.

Auf den ersten Blick macht die Theodor-Heuss-Brücke, eine 1969 erbaute Spannbetonträger-Straßenbrücke, die die Autobahn A44 über die Ruhr und eine angrenzende Bahnstrecke führt, einen guten Eindruck.

Doch eine Überwachung der Brücke, die aus zwei Überbauten mit jeweils vier Fahrspuren besteht, durch Autobahn im Jahr 2017 ergab, dass sie dringend saniert werden musste, um ihre Lebensdauer zu verlängern. Tatsächlich gaben die Bauinspektoren von Autobahn dem südlichen Überbau in Richtung Velbert die Zustandsnote 2,5 (in einem Bewertungssystem zur Bewertung von Haltbarkeit, Stabilität und Verkehrssicherheit, wobei 1 die beste und 4 die schlechteste Note ist). Der nördliche Überbau in Richtung Essen erreichte die Note 2,3. Das bedeutete, dass Autobahn Verkehrsbeschränkungen durchsetzen musste, darunter ein Überholverbot für Lkw und einen Mindestabstand von 70 m zwischen schweren Nutzfahrzeugen, bis berechnet werden konnte, wie ein externes Spannsystem umgesetzt werden kann.

Anschließend wurde der Auftragnehmer Eurovia mit der Durchführung des 4,6 Millionen Euro (4,9 Millionen US-Dollar) teuren Projekts beauftragt, bei dem die Brücke sowohl in Längsrichtung als auch im Querschnitt mit hochfesten Stahlspanngliedern versehen werden soll.

Auf diese Weise hofft Autobahn, seine Lebensdauer bis 2037 zu verlängern und die geschätzten Kosten von mindestens 30 bis 40 Millionen Euro (32,2 bis 43 Millionen US-Dollar) für den vollständigen Abriss und Ersatzneubau aufzuschieben.

„Dies ist ein Gebiet mit sehr hoher Bevölkerungsdichte und die Infrastruktur wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren gebaut“, sagt Tobias Fischer, Autobahnbau- und -instandhaltungsleiter in der Region.

Der Einbau der Stahlspannglieder erfordert Kernbohrungen durch bis zu drei Meter dicken Beton im Inneren der Brücke.

„Wir haben überall die gleichen Probleme – die Brücke wird älter, die Belastung ist höher, weil wir viel mehr Verkehr haben. Deshalb müssen wir etwas an unseren Brücken tun.“

Allein in dieser Region Deutschlands sind Fischer und seine Autobahnkollegen für 600 Brücken verantwortlich, von den kleinsten Bauwerken bis hin zu solchen mit einer Länge von bis zu 2,3 km. „Wir können nicht alles gleichzeitig machen, deshalb ist es wichtig, alle Brücken zu warten und zu verstärken, damit sie den neuen Belastungen standhalten“, sagt er.

Janina Baumbach, Projektverantwortliche bei Autobahn, erläutert, dass beim Einbau des Spanngliedsystems von BBV Systems Kernbohrungen durch bis zu drei Meter dicke Querträger geführt werden und dabei die vorhandenen Spanngliedlagen sorgfältig vermieden werden.

Insgesamt werden in der Brücke Spannglieder mit einer Länge von etwa 10 km eingebaut. Die Hauptspannglieder tragen eine Vorspannkraft von 2,4 Meganewton (MN) und sind durch acht oder neun Betonankerblöcke pro Überbau verankert. Die zusätzlichen Spannglieder tragen eine Vorspannkraft von 3,2 MN, wobei die Last über Ankerplatten in den Querträgern eingeleitet wird. An einem der Überbauten befinden sich 16 Ankerplatten und an dem anderen 18.

Zerbröckelnde Brücken: „Eine immer größere Herausforderung“

Zeuge der Arbeiten war Christian Tridon, Gründer der Eurobridge-Konferenz, einer jährlichen Veranstaltung in Brüssel.

Tridon warnte, dass die Reparatur und der Ersatz von Brücken nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa immer größere Herausforderungen mit sich bringen werde.

Überall auf der Brücke wurden Ankerpunkte für das Stahlspannsystem installiert.

„Brücken sind ein wesentliches Element der Kommunikation, aber die überwiegende Mehrheit der Straßenbrücken in Europa stammt aus den 1950er Jahren. Damit sind sie heute über 70 Jahre alt. Das bedeutet, dass es Probleme mit Abnutzung und Mängeln gibt und dies regelmäßige Wartung erfordert, die jedoch nicht durchgeführt wird“, sagt er.

„Ein junger Ingenieur, der heute die Schule verlässt, wird eine Menge Reparaturarbeiten übernehmen – mehr als Bauarbeiten.“

Angesichts des Umfangs der erforderlichen Arbeiten und der begrenzten Finanzierung freute sich das in Frankreich ansässige Unternehmen Tridon über die Gelegenheit, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie Brückensanierungsprojekte in Deutschland angegangen werden.

„Es hat mich dazu gebracht, über zwei oder drei Dinge nachzudenken. Es gab einige Dinge, die mich interessierten und die wir in Frankreich nicht tun, die Deutschen aber schon. Es ist eine gute Idee, dass wir unsere kollektiven Erfahrungen und Kompetenzen zusammenbringen und alles auf den Tisch legen“, sagt er.

„Derzeit gibt es in Europa keine Organisation, die den Austausch [von Ideen und bewährten Verfahren] ermöglicht, und genau das möchte ich mit dem Eurobridge-Projekt und der Unterstützung von FIEC erreichen. Es geht darum, gemeinsam über diese Herausforderung nachzudenken, die in den kommenden Jahren nur noch größer werden wird.“

Auf der nächsten Eurobridge-Konferenz , die am 11. April 2025 im belgischen Brüssel stattfindet, möchte Tridon auch einen Blick darauf werfen, wie US-Bauunternehmen und ihre Kunden mit dem Problem umgehen, das seiner Einschätzung nach mindestens ebenso schwerwiegend ist wie in Europa.

Deutsche Bauverbände warten auf eine Antwort

In Deutschland geht das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMDV) davon aus, dass sich 1.000 Autobahnbrücken nach jüngsten Inspektionen in einem „mangelhaften baulichen Zustand“ befinden.

Die Theodor-Heuss-Brücke in Essen überquert die Ruhr und eine Eisenbahnlinie.

In ihrer gemeinsamen Dringlichkeitserklärung warnten die deutschen Bauverbände: „Bei einer Vielzahl von Brücken ist die Tragfähigkeit und damit die Funktionalität massiv beeinträchtigt. Wird das Brückenbauprogramm (wie von der Bundesregierung angekündigt) nicht umgesetzt, prognostizieren die Verbände weitere Brückeneinbrüche, die den Verkehr auf Jahre lahmlegen würden.“

Sie warnten auch davor, dass Bauunternehmen, die Brückenarbeiten vorbereiten, die die Bundesregierung ursprünglich zugesagt hatte, dann aber auf Eis gelegt hat, mit finanziellen Verlusten rechnen müssten.

Von der Bundesregierung gibt es bislang keine offizielle Reaktion auf die Warnungen der Verbände. Denn die geheimen Verhandlungen über den Haushalt dauern noch an und werden sich voraussichtlich noch bis Ende des Monats hinziehen.

Tim Oliver Müller, CEO der Bauindustrie, fasste gegenüber Construction Europe zusammen, was auf dem Spiel steht: „Deutschland steuert auf ein massives Problem mit seiner Straßen- und Brückeninfrastruktur zu. Mit den geplanten Haushaltskürzungen von 20 % müssten bundesweit über 100 Bauprojekte, darunter äußerst wichtige Brücken, auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Die Bundesregierung muss entscheiden, ob sie für 2024 und das folgende Jahr mehr Investitionsmittel zur Verfügung stellt oder mit massiven Verkehrsbehinderungen rechnen muss.“

* Zum Verbändekonsortium gehörten außerdem: der Interessenverband der mittelständischen Bauunternehmen BVMB, der Verband Beratender Ingenieure (VBI), der Deutsche Asphaltbau-Verband (DAV), das Bündnis „Pro Mobilität“ für effiziente Infrastruktur, die Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken, der Deutsche Verband für Lärmschutz an Verkehrswegen (DVLV) sowie die Transport- und Logistikverbände ADAC, BGL, DSLV und BWVL.

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